Warum gibt es mehr Materie als Antimaterie im Universum?

Eine Entdeckung am CERN liefert erstmals Hinweise auf wichtige Unterschiede bei den Grundbausteinen unserer Welt.

Wo ist die ganze Antimaterie abgeblieben?

Seit Jahrzehnten rätseln Fachleute, wie unser Universum überhaupt entstehen konnte. Denn eigentlich müsste es gleich nach dem Urknall gleich viel Materie und Antimaterie gegeben haben – und beide hätten sich gegenseitig auslöschen müssen. Offensichtlich war das nicht der Fall: Fast alle Strukturen, die wir im All beobachten können, bestehen heute aus Materie. Deshalb suchen Physikerinnen und Physiker nach feinen Unterschieden zwischen Antimaterie und Materie, die den rätselhaften Überschuss an Letzterer erklären könnten. Wie Fachleute vom europäischen Kernforschungszentrum CERN nun im Fachjournal »Nature« berichten, haben sie jetzt erstmals eine solche Asymmetrie in jenen Teilchen ausgemacht, aus denen sich unsere Welt zusammensetzt.

Teilchen und Antiteilchen scheinen auf den ersten Blick bis auf ihre elektrische Ladung identisch. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Eine gängige Erklärung für den bestehenden Überschuss an Materie lautet, dass die so genannte CP-Symmetrie in unserem Universum verletzt ist. Nach ihr bleiben alle physikalischen Gesetze gleich, wenn man Teilchen durch ihre jeweiligen Antiteilchen ersetzt und dabei alle Raumkoordinaten spiegelt. Falls die Symmetrie verletzt wäre, würden Materie und Antimaterie jedoch nicht die gleiche Rolle im Universum einnehmen. Das Problem: Zwar wurden bisher Fälle von CP-Verletzungen beobachtet, aber viel zu wenige, um das Ungleichgewicht zu erklären.  

Vor allem wurden CP-Verletzungen bislang nur in so genannten Mesonen beobachtet – Teilchen, die sich aus zwei Quarks zusammensetzen. Protonen und Neutronen, die Bausteine von Atomkernen, bestehen hingegen aus je drei Quarks und gehören damit zur Familie der Baryonen. Obwohl theoretische Modelle vorhersagen, dass auch Baryonen von der CP-Verletzung betroffen sein müssten, ließ ein experimenteller Nachweis auf sich warten. Bis jetzt.

Nun haben Fachleute in den Daten zu Proton-Proton-Kollisionen am größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider des CERN, wesentliche Unterschiede zwischen Baryonen und Antibaryonen entdeckt. Wenn die Protonen zusammenkrachen, können neue Teilchen entstehen, darunter schwere Λ-Baryonen, die aus einem Up-, einem Down- und einem Bottom-Quark bestehen. Die Physikerinnen und Physiker zählten die Zerfallsarten von schweren Λ-Baryonen und ihren Antiteilchen und fanden dabei ein Ungleichgewicht vor, das sich durch eine CP-Verletzung erklären lässt. In früheren Arbeiten waren bereits Hinweise darauf gefunden worden, doch nun sind die Ergebnisse der Forschenden erstmals statistisch signifikant. »Die entdeckte Asymmetrie des Baryonenzerfalls ebnet den Weg für weitere theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Natur der CP-Verletzung, die möglicherweise neue Anhaltspunkte für Physik jenseits des Standardmodells liefern«, schreiben die Autoren in ihrer Studie.

 

                                 Genesis?

Halluziniertes Protein: KI-Algorithmen, die wie Bildgeneratoren funktionieren, erzeugen völlig neue Proteinstrukturen mit Eigenschaften, die in der Natur nicht verwirklicht sind.

Künstliche Intelligenz nimmt die Bausteine des Lebens ins Visier. Völlig neue Proteine, designt von Sprachmodellen auf der Basis von ChatGPT oder KI-Bildgeneratoren, könnten weit über das hinausgehen, was die biologische Evolution geschaffen hat.

Lange hat der Mensch sich in der Natur bedient und die Moleküle des Lebens für seine Zwecke genutzt. Bei der Herstellung von Bier über Insulin bis zum Waschmittel vollführen biologische Verfahren Kunststücke, die für menschliche Technik unerreichbar sind. Doch jetzt schicken sich Forschungsgruppen und Unternehmen an, weit über das hinauszugehen, was die Evolution in Milliarden Jahren geschaffen hat – und zwar mit künstlicher Intelligenz. Die nämlich soll nun eines der kompliziertesten Probleme der Biochemie lösen: künstliche Proteine mit jeder nur denkbaren Funktion zu entwerfen.

Die Idee, Proteine für bestimmte Aufgaben maßzuschneidern, ist nicht neu. Lange Zeit allerdings mussten sich Fachleute darauf beschränken, existierende Proteine mehr oder weniger gezielt zu verändern, um die gewünschte Funktion zu erhalten. Für eine dieser Techniken, die so genannte gerichtete Evolution, erhielt die Forscherin Frances Arnold im Jahr 2020 den Nobelpreis für Chemie. Doch je mehr man über die Eigenschaften von Proteinen lernt, desto mehr rückt der Wunsch in den Fokus, völlig neue Proteinstrukturen zu konstruieren.

Proteine sind die molekularen Maschinen, die das Leben am Laufen halten. Sie ermöglichen die superfeste Struktur von Spinnenseide, übertragen biologische Signale oder ermöglichen alle Arten von chemischen Reaktionen, die für lebende Organismen unverzichtbar sind. Es gibt unzählige verschiedene Proteine, deren Struktur jeweils perfekt auf ihre Funktion zugeschnitten ist. Oft bringen sie Reaktionen weit effektiver in Gang als ihre technischen Gegenstücke. Deswegen nutzen Medizin, Forschung und Industrie die vielseitigen Helfer inzwischen für immer mehr Prozesse.

Ihr Facettenreichtum verblüfft, bedenkt man, dass es sich um einfache Kettenmoleküle handelt, in denen unzählige Aminosäuren aneinandergereiht sind. Doch der lange Strang windet und verknäuelt sich, gesteuert von den Wechselwirkungen der Aminosäuren untereinander, zu einer komplizierten dreidimensionalen Form. Manche Teilstücke falten sich zu größeren Strukturelementen wie Helices oder Faltblättern zusammen – stabile Teile des Moleküls mit helixförmiger oder flacher Struktur. Andere Abschnitte der Kette lagern sich zu jenen Teilen des Proteins zusammen, die für seine Funktion entscheidend sind: Bindungsstellen für andere Moleküle oder Taschen, in denen chemische Reaktionen stattfinden.

Für jede Aufgabe das perfekte Molekül

Eine Abfolge von Aminosäuren zu finden, die sich zu genau der richtigen Form für die gewünschte Funktion zusammenlagert, ist ein unglaublich komplexes dreidimensionales Puzzle. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, es zu lösen. Das Ziel: Für jede denkbare Anwendung sollen die Algorithmen das richtige Molekül entwickeln. »Wir geben der KI zum Beispiel die gewünschte Funktion vor, die Temperatur sowie welche Lösungsmittel das Protein aushalten soll und sagen dann: Mach das«, erklärt Birte Höcker. Bislang ist das jedoch eher Wunsch als Realität. Die Biochemikerin von der Universität Bayreuth arbeitet seit Jahren daran, Proteine gezielt herzustellen – inzwischen auch mit KI. »Wie oft wünschen wir uns einen Antikörper, der etwas Bestimmtes spezifisch bindet! Wenn wir die Gensequenz am Computer generieren und diese dann einfach bestellen könnten, wäre das ein großer Gewinn.«

Bevor die KI-Verfahren auftauchten, mussten Proteindesigner dazu die chemischen und physikalischen Wechselwirkungen sehr genau kennen, weshalb sie bevorzugt mit gut verstandenen Strukturelementen arbeiteten. »Wir haben uns lange auf geordnete Strukturen wie Helices oder Faltblätter fokussiert, weil wir die recht gut herstellen und untersuchen können«, sagt Höcker. Damit fehlten den künstlichen Proteinen allerdings genau jene Teile, die für konkrete Funktionen notwendig sind und die man bei vielen natürlichen Proteinen sieht: Taschen oder Hohlräume, die andere Moleküle aufnehmen, oder bewegliche Bereiche, die an Wechselwirkungen beteiligt sein können.